20. Juli 2015: Industrie verteufelt CO2-Pläne der EU

  

Die EU will den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 40 Prozent, bis 2050 um 80 bis 95 Prozent reduzieren. Dazu will sie dem so genannten Emissionshandel für CO2-Zertifikate neues Leben einhauchen, obwohl diese Methode der Treibhausgasreduktion nichts gebracht hat.


Zum Emissionshandel verpflichtet sind Bereiche der Wirtschaft mit hohem Treibhausgas-Ausstoß. Der europäischen Emissionshandel ETS (Emission Trading System) ist seit 2005 in Kraft. Es beteiligen sich daran 31 Staaten, und zwar die 28 EU-Mitgliedsstaaten sowie Liechtenstein, Island und Norwegen. Durch dieses Instrument wird der Kohlendioxidausstoß von 11.000 Anlagen in diesen Ländern begrenzt. Es handelt sich dabei um Wärmekraftwerke (ab 20 MW Leistung) und um energieintensive Industriebranchen (Eisen- und Stahlerzeugung, Kokereien, Raffinerien, Zement- und Kalkherstellung, Glas-, Keramik- und Ziegelindustrie, Papier- und Zelluloseproduktion). Diese verursachen zusammen immerhin etwa 50% der europäischen CO2-Emissionen.

 

Das Prinzip des Emissionshandels

 

Im Prinzip geht es darum, dass auf der Basis einer bestimmten Zahl von kostenlos für eine bestimmte Zeit zugeteilten Emissionszertifikaten („Verschmutzungsrechte“, ein Zertifikat pro Tonne CO2) die Betreiber jener Anlagen, die den Treibhausgas-Ausstoß senken, solche Zertifikate verkaufen können, also sich eine Belohnung für die Emissionsreduktion erwirtschaften können, während für die Nichterfüllung von Vorgaben bzw. für die Emissionssteigerung Zertifikate zugekauft werden müssen. Der Handel der Zertifikate passiert über Börsen, Makler oder direkt zwischen Beteiligten. Wenn nach Überschreitungen keine entsprechenden Zertifikate zugekauft werden, drohen Strafzahlungen.

 

Die Zahl der zugeteilten Zertifikate wird von den zuteilenden Behörden sukzessive vermindert, damit Druck in Richtung Emissionsreduktion entstehen kann.

 

In Phase I und Phase II wurden in nationalen Allokationsplänen auf Mitgliedsstaatsebene

die Emissionszertifikate festgelegt – nämlich wie viele es davon insgesamt in einem Mitgliedsstaat gibt und wie sie auf die betreffenden Anlagen aufgeteilt werden. Bei der Zuteilung der Berechtigungen ging man vorwiegend nach dem „Grandfathering“-Prinzip vor. Das bedeutet, dass den Anlagen in Anlehnung an ihre bisherigen Emissionen die Berechtigungen zugewiesen wurden.

 

Diese nationalen Allokationspläne wurden von der Europäischen Kommission überprüft und genehmigt. Der Großteil der Berechtigungen wurde den teilnehmenden Anlagen gratis zugeteilt, nur ein geringer Anteil über Versteigerungen.

 

In Phase III, welche 2013 startete und bis 2020 dauern soll, gibt es nun keine nationalen

Allokationspläne mehr. Die Europäische Kommission gibt stattdessen eine EU-weite Gesamtobergrenze für CO2-Emissionen vor, die jährlich um 1,74 Prozent gesenkt werden

soll. In Phase III soll sich auch der Anteil jener Zertifikate, die nicht gratis zugeteilt, sondern

auktioniert werden, sukzessive erhöhen. Außerdem wird in dieser Phase vom „Grandfathering“-Prinzip abgegangen und verstärkt auf das Prinzip der „Best Available Technology“ gebaut. Es sollte also anhand von aktuell verfügbaren, modernen Technologien

in einem Sektor bewertet und zugeteilt werden.

 

Erleichterungen für Betriebe mit besonders hohem Energieverbrauch

 

Unternehmen mit besonders hohem Treibhausgas-Ausstoß müssen nicht für alle Emissionen zahlen, die sie verursachen. Nur 57 Prozent der CO2-Zertifikate werden versteigert und können auf dem Markt erworben werden. Die restlichen werden kostenlos an energieintensive Branchen vergeben, also an Branchen mit hohem CO2-Ausstoß. Mit dieser Erleichterung wird der Behauptung der Wirtschaftsverbände entsprochen, dass ansonsten die Abwanderung und der Untergang der europäischen Industrie drohten.

 

Es gibt auch einen anderen Weg, wie Unternehmen zu Zertifikaten kommen: Über den „Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung“ können sie außerhalb des EU-Raumes in Maßnahmen zur Minderung von Emissionen investieren. Die Unzuverlässigkeit und Intransparenz bei deren Zertifizierung öffneten jedoch in der Vergangenheit dem Betrug Tür und Tor.  

 

EU reagiert auf die Tatsache, dass der Emissionshandel nicht den erhofften Effekt brachte

 

Die EU ging bei der Einführung des Emissionshandels im Jahr 2005 von der Annahme weitgehend stabiler Energiepreise aus, und man nahm an, dass auf Grund eines weltweiten Kohlenstoffmarktes die CO2-Preise steigen würden (In den europäischen Referenzszenarien sind CO2-Preise zwischen 20 und 50 Euro pro Tonne hinterlegt).

 

Die gegenwärtige Realität ist aber eine völlig andere: Der Ölpreis befindet sich im Keller, und die Tonne CO2 ist beim derzeitigen Emissionshandel extrem billig. Vor kurzem lag der Preis bei nur 6,70 Euro, derzeit bei 7,50 pro Tonne CO2. Noch dazu hatte man verabsäumt, die Zahl der Zertifikate sukzessive zu reduzieren. Deshalb befindet sich ein Überschuss an Zertifikaten auf dem Markt. Man hätte wenigstens jetzt Zertifikate vom Markt nehmen müssen, was aber die Industrie-Lobby ablehnte und daher auch in den EU-Gremien keine Mehrheit fand.

 

Nun hat die EU-Kommission doch beschlossen, Zertifikate vom Markt zu nehmen. Von derzeit rund vier Milliarden werden ab 2019 1,2 Milliarden in eine Art Reserve wandern. Das soll für eine Verknappung sorgen, die den Preis nach oben treibt. Außerdem soll die Liste jener Branchen, die wegen Abwanderungsgefahr („Carbon Leakage“) Gratiszertifikate zugeteilt bekommen, reduziert werden. Außerdem wurde vorgeschlagen, für die 2020 beginnende Phase IV des EU-Zertifikatenhandels die derzeitige lineare Absenkungsrate von 1,74 Prozent auf 2,2 Prozent pro Jahr zu erhöhen, da absehbar ist, dass ansonsten das europäische Klimaziel, das bis 2030 eine Senkung der Treibhausgas-Emissionen um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 vorsieht, nicht erreicht werden kann.

 

Unzufriedene Umweltorganisationen: „Weiterwursteln statt echte Reformen“

 

Umwelt-NGO’s kritisieren mit Recht, dass die 1,2 Milliarden Zertifikate nicht wirklich vom Markt genommen werden, sondern nur in eine Stabilitätsreserve gehen, aus der jederzeit wieder Gratiszertifikate freigegeben werden können – z. B. für Unternehmen, die neu auf den Markt kommen, oder wenn nach der Krise wieder eine Konjunkturbelegung eintritt. Die NGO’s stellen grundsätzlich in Frage, ob es überhaupt Gratiszertifikate geben muss. Sie verurteilen es, dass die Wirtschaftsverbände mit Abwanderung drohen.

 

Durch eine CO2-Abgabe wäre übrigens die Reduktion von Treibhausgasen viel leichter zu erreichen als mit einem komplizierten System absurder Verschmutzungsrechte. Daher fordern Umweltorganisationen eine solche Abgabe. Auch wir vom Verein Klimaschutz-Initiative setzen uns seit Jahren für die Einführung einer solchen Abgabe ein. Sie soll mit einem niedrigen Satz beginnen und in kleinen, verkraftbaren Schritten jährlich angehoben werden.

Einen detaillierten Vorschlag zur CO2-Abgabe finden Sie unter http://ksi.jimdo.com/aktivitäten/projekt-2012/co2-abgabe-neu/

 

Der Vorteil der CO2-Abgabe gegenüber dem Emissionshandel bestünde darin, dass nicht nur einige Branchen angehalten sind, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren, sondern dass alle Sektoren erfasst werden, also die gesamte Wirtschaft, der Verkehr, die Raumwärme und die Haushalte.

 

Selbstverständlich sind für die energieintensive Industrie Sonderregelungen nötig. Sie ist dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt und könnte erst bei gestiegener Energieeffizienz zur vollen CO2-Abgabe verpflichtet werden. Pragmatisches Vorgehen ist besser als radikale Umsetzung scharfer Maßnahmen.

 

Aufstand der Unternehmensverbände

 

Wenig überraschend kam die Kritik der Wirtschaftsverbände an den EU-Plänen. Man bekenne sich zwar zum Klimaschutz, aber die Vorgabe der EU-Kommission, bis 2030 die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, sei zu ambitioniert. Es sei falsch, wenn Europa versuche, dieses Ziel alleine zu verfolgen, ohne andere Weltregionen mit ins Boot zu holen. Die gesamte Wirtschaft, die Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit der EU würden darunter leiden.  

 

Die Wirtschaft stößt sich an der Reduktion der kostenlosen Emissionszertifikate. Es ist von einer „unnötigen Reduktion“ die Rede, die das Risiko für die Abwanderung von Investitionen erhöhe. Auch die Wirtschaftsvereinigung Stahl fühlte sich durch den neuen Vorschlag „bedroht“, obwohl die Stahlindustrie unter den Risikobranchen bleiben soll und somit mit Gratiszertifikaten zu rechnen hat. Über den Vorschlag der EU-Kommission wird hart verhandelt werden. 

 

Die Wirtschaft sieht sich also bedroht – nicht durch den Klimawandel, den sie verursacht, sondern dadurch, dass sie ihn stoppen soll. Wenn es nicht mehr erlaubt sei, massenweise Treibhausgase in die Luft zu blasen, drohen ruinöse Kosten, heißt es.

 

Aber ruinöse Kosten drohten angeblich auch, als die Politik plante, das Blei aus dem Sprit zu verbannen, den Schwefel aus den Schloten zu filtern oder Fluorkohlenwasserstoffe zum Schutz der Ozonschicht zu verbieten.

 

Zweifelhafte Sozialpartner-Achsen

 

Vor einer wachstums- und beschäftigungsfeindlichen Klimapolitik der EU warnten die heimischen Sozialpartner-Präsidenten am 13. Oktober 2014 bei ihrem Bad Ischler Dialog der Sozialpartner.

 

Diese Sozialpartner-Achse erinnert an die 1970er Jahre: Auch damals präsentierten sich Sozialpartner als ewig Gestrige und agierten gegen den Umweltschutz. In den 1970er Jahren hatte sich eine Sozialpartner-Achse aus Gewerkschaft, E-Wirtschaft und Industrie formiert, um uns Bürgerinnen und Bürgern einzuhämmern, dass ohne Atomkraftwerke eine große Zahl an Arbeitsplätzen gefährdet sei. Aber damit nicht genug: Nach der Volksabstimmung am 5. November 1978, die bekanntlich zu einem knappen Nein zur Atomenergie geführt hatte, agitierte diese Achse weiter und verfolgte – unterstütz mit massiver Öffentlichkeitsarbeit – das Ziel, eine Wiederholung der Volksabstimmung zu erreichen.

 

Dieses Sozialpartner-Lobbying endete erst mit der Katastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986.

 

Ähnliches spielte sich einige Jahre später ab, als die E-Wirtschaft, unterstützt von Gewerkschaft und Industrie, um jeden Preis bei Hainburg ein Donaukraftwerk errichten wollte und damit eine urwaldähnliche Aulandschaft vernichten wollte. Es kam im Dezember 1984 zur Besetzung der Stopfenreuther Au bei Hainburg durch Umweltaktivisten, die die Einstellung der Rodungsarbeiten erreichten. Die Räumungsaktion der Exekutive musste auf Grund des massiven gewaltlosen Widerstands der wachsenden Zahl der Umweltschützer abgebrochen werden.

 

Berechtigte Einwände der Industrie

 

Die Unternehmensverbände kritisieren mit Recht die einseitige Vorgangsweise, bestimmte Branchen der Wirtschaft dazu zu verpflichten, die Treibhausgasemissionen reduzieren. Sie fragen sich, warum nicht die gesamte Wirtschaft dazu verpflichtet ist – und auch die Sektoren Verkehr, Raumwärme/Klimatisierung und Haushalt.

 

Wie oben erwähnt, wäre die Einführung einer CO2-Abgabe, mit der generell alle fossilen Brenn- und Treibstoffen belastet würden, eine wesentlich wirkungsvollere und auch gerechtere, vor allem aber einfacher vollziehbare Maßnahme zur Eindämmung der CO2-Emissionen. Aber die Wirtschaft lehnt auch diese Abgabe ab.

 

Die Wirtschaft bremst beim Klimaschutz

 

Wieso tut sich die Wirtschaft so schwer, die Energiewende aktiv mitzutragen – denn die Reduktion des Einsatzes fossiler Energieträger und damit der Rückgang bei den  Treibhausgas-Emissionen ist doch wesentlicher Teil der Energiewende. Es ist völlig unverständlich, warum Wirtschaftsvertreter in Österreich und in der EU nur Bedrohungen in Klimaschutz-Maßnahmen sehen, wenn sie sich doch prinzipiell zum Klimaschutz bekennen.

 

Nicht nur das Verbrennen fossiler Energieträger ist ein Problem, sondern auch die Abhängigkeit von deren Import ist ein Unsicherheits- und Belastungsfaktor für die Wirtschaft. Rund 400 Milliarden Euro gibt Europa jährlich für Energieimporte aus, Österreich rund 10 Milliarden. Warum sieht die Wirtschaft, vor allem die Industrie, in konsequentem Klimaschutz eine Belastung und nicht eine Chance?

 

Für die Industriechefs ist es natürlich am einfachsten, weiterhin das zu produzieren, was sie schon bisher produziert haben. Klimaschutz ist für viele ein Störfaktor, denn er erfordert Umdenken, Änderungen, Umschichtungen – sowohl bezüglich Produktionsweisen und Energieeinsatz als auch in Bezug auf die Produktpalette. Für die großen Energieversorger  bedeutet die Energiewende Verlust an Macht.

  

Wirtschaft ist aber nichts anderes, als Produktion von Gütern und Leistung von Diensten zur Befriedigung von Bedürfnissen – z. B. des Grundbedürfnisses nach Erhaltung der Lebensgrundlagen und des Schutzes des Klimas. Wieso ist es so schwer zu begreifen, dass Klimaschutz und Industrie kein Widerspruch sind? Klimaschutz bedeutet Arbeit, Arbeitsplätze, Wertschöpfung!

 

Die große Verantwortung der Politik

 

 

 

 

Wenn wir nicht rasch für Klimaschutz sorgen, wird es teuer. Und die Maßnahmen werden einschneidend und abrupt. Es ist wichtig, nicht nur bis 2020 zu denken und zu planen, sondern bereits bis 2030 und 2050!

 

 

 

Aufgabe einer verantwortungsvollen Politik ist es, das Ganze im Auge zu haben und auf jene zu achten, die keine starke Lobby haben – die künftigen Generationen und die Menschen der Entwicklungsländer. Die Politiker müssen den Menschen erklären, wohin die Entwicklung gehen muss. Sie müssen die Bevölkerung, die Wirtschaft und die Medien für die Energiewende-Ziele gewinnen und eine Diskussion in Gang bringen, welche Maßnahmen für die Erreichung dieser Ziele notwendig sind. Sie müssen – neben Schaffung von Anreizen – die Bereitschaft wecken, Klimaschutz und Energiesparen als Verhaltensprinzip zu sehen und einzuüben.

 

Die Politiker müssen dafür sorgen, dass aus der latenten Nachfrage nach Klimaschutz immer mehr eine reale Nachfrage werden kann. Das heißt, die Bereitschaft zu wecken, das „Produkt“ Klimaschutz auch zu „kaufen“ (z. B. energieeffiziente Haushaltsgeräte, sparsame Kraftfahrzeuge, Energieeffizienzmaßnahmen an Häusern und Fabrikshallen) bzw. Klimaschutzmaßnahmen der Wirtschaft finanziell mitzutragen (z. B. Bereitschaft, dass Betriebe für Energiewende-Maßnahmen Förderungen erhalten).

 

Überzeugungsarbeit muss auch in Richtung CO2-Abgabe geleistet werden, denn ohne eine in kleinen Schritten steigende Belastung fossiler Energieträger durch eine solche Abgabe ist ein zügig fortschreitender Umstieg auf erneuerbare Energiequellen und auf Energiesparen nicht vorstellbar.

 

Die vielen Halbheiten und das Zaudern der Politiker, die Zwischenrufe von Populisten,  Klimawandel-Skeptikern und Energiewende-Kritikern, die Unbeweglichkeit und das Bremsen mancher Industriechefs, die Vorherrschaft der Aktionäre, die Angst großer Energieversorger vor Machtverlust usw. sind Ursachen dafür, dass beim Klimaschutz nicht viel weitergeht und die Maßnahmen wenig effizient sind. Auch im Bereich der Medien gibt es Mitschuldige.

 

Man wirft dem Klimaschutz ständig Prügel vor die Füße und macht ihm dann den Vorwurf, nicht weiter zu kommen.

 

Wir können nicht warten, bis 100-prozentig bewiesen ist, dass bzw. in welchem Ausmaß der Mensch die Klimaerwärmung verursacht, und bis die Skeptiker bekehrt sind. Sie werden sich nicht bekehren lassen, auch wenn halb Europa jährlich von Hochwässern geplagt wird. Bei den eingefleischten Atomenergiebefürwortern ist es ähnlich: Sie werden ihre Meinung nicht ändern, selbst wenn jedes Jahr ein Super-GAU passiert.

 

Wir müssen uns den Klimaschutz leisten. Am effektivsten (und billigsten) ist er, wenn alle an einem Strang ziehen – auch die Wirtschaft – und wenn so bald wie möglich mit dem Umsetzen wirksamer Maßnahmen begonnen wird.