Liegt Österreich nur an der Westbahn und Südbahn?

 

Beim viergleisigen Ausbau wichtiger Bahnstrecken gab es mit der Eröffnung der 60 Kilometer langen Strecke Wien-St.Pölten und mit der Fertigstellung des 40 Kilometer langen Teilstückes im Unterinntal wieder große Fortschritte. Dazu kam die Teileröffnung des Wiener Hauptbahnhofs. Diese Ereignisse passen genau zum Jubiläum 175 Jahre Eisenbahn in Österreich. Aber zu dieser Hochstimmung mischen sich auch kritische Töne.

 

Die Eröffnung des neuen Westbahnabschnittes Wien-St.Pölten am 23. November fällt mit einem Jubiläum zusammen: 175 Jahre Eisenbahn in Österreich. Während 1837 mit der ersten Fahrt eines besetzten Personenzugs auf der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn von Floridsdorf nach Deutsch-Wagram ein Meilenstein in der Entwicklung der Mobilität unseres Landes gesetzt wurde, gelingt mit dem neuen Westbahnabschnitt eine deutliche Kapazitätssteigerung und Fahrzeitverkürzung beim Bahnverkehrs im Donaukorridor. Ähnliche Fortschritte werde es auch auf der Südbahn geben, betonte Ministerin Bures in ihrer Eröffnungsansprache, und wies damit unter anderem auf den Bau der Koralmbahn und des Semmeringtunnels hin. Am 26. November wurde die Fertigstellung der 40 km langen Hochleistungsstrecke des Unterinntals zwischen Kundl und Baumkirchen gefeiert.

 

Grundsätzlich ist diese Bahn-Offensive zu begrüßen. Denn einerseits sprechen soziale Gründe für eine leistbare, attraktive Alternative zum Auto (teuer werdende Treibstoffe, Änderung der Altersstruktur der Bevölkerung), andererseits ist die Verkehrsverlagerung weg von den überlasteten Straßen hin zur Schiene nur mit einer leistungsfähigen Bahn möglich.

 

Die Bedeutung der Bahn wird auch aus ökologischen und Klimaschutzgründen steigen. Die elektrisch betriebene Bahn ist in Österreich wegen des hohen Wasserkraft-Anteils bei Bahnstrom die bereits heute vorhandene, klimafreundliche, hoch effiziente Technik für die E-Mobilität.

 

Bahnjubiläum und Streckeneröffnungen können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Verkehrsministerium und ÖBB Österreichs Fernverkehrs-Bahnstrecken in zwei Kategorien einteilen, und zwar in Bahnen, wo Ausbau sinnvoll ist, und in solche, wo sich ein Ausbau nicht rechtfertigen lässt. Neuerdings wird diese Vorgehensweise folgendermaßen begründet: Die Bahn sei ein Massenverkehrsmittel und werde nur dort ausgebaut, wo viele Menschen und Güter zu befördern seien. Präsentiert wurde diese Doktrin in der Pressekonferenz am 19. September 2011 von Verkehrsministerin Bures und von ÖBB-Chef Kern. Sie klingt eigentlich recht plausibel. Erst bei genauerem Hinsehen tritt zutage, welche Ungerechtigkeit sich hinter dieser Formulierung verbirgt.

 

Beispiel Bahnverbindung Linz-Graz: Hier sind – das muss man zugeben – keine „Massen“ an Bahnfahrgästen unterwegs. Warum? Weil die Bahnfahrzeiten zu lang sind, die Fahrgäste in Selzthal umsteigen müssen und – von Fahrplanlücken abgesehen – nur jede zweite Stunde eine Fahrmöglichkeit besteht. Statt aber durch konsequenten Ausbau eine deutliche Fahrzeitverkürzung und Kapazitätserweiterung zu erreichen, begründet man die mageren Ausbaupläne mit „zu geringe Nachfrage“ (auf Grund fragwürdiger Methoden bei den Fahrgastzählungen), „Abwanderungsregionen“ und „kein Verlagerungspotenzial“ (obwohl z. B. in Spital am Pyhrn durchschnittlich pro Tag insgesamt ca. 9.000 Kfz in der Gewichtsklasse bis 3,5 Tonnen die Pyhrnautobahn A 9 frequentieren). Die geringe Nutzung der Bahn liegt wohl am schlechten Angebot, nicht am mangelnden Verlagerungspotenzial. Auf dem 55 km langen Pyhrnbahn-Flaschenhals Kirchdorf-Selzthal sind – außer ein neuer Bosruck-Tunnel – nur drei Abschnitte für zweigleisigen Ausbau vorgesehen. Ansonsten wird die Bahnlinie weiterhin wie zu Kaisers Zeiten eingleisig und kurvenreich bleiben.

 

So kommt es, dass neuerdings den Bahnreisenden zwischen Linz und Wien eine Große Zahl an Schnellverbindungen mit 1 1/4 Std. Fahrzeit zur Verfügung steht, während es zwischen Linz und Graz, also der zweitgrößten und drittgrößten Stadt Österreichs, nicht einmal eine einzige durchgehende Bahnverbindung gibt. Man muss sich für eine Linz-Graz-Reise zwischen Linz und Selzthal mit RegionalExpress-Zügen oder Regionalzügen abfinden, hat nur jede zweite Stunde (und das nicht einmal lückenlos) eine Reisemöglichkeit und muss sich mit fast 3 1/2 Std. Fahrtdauer pro Richtung (oder zweimal sogar länger) zufrieden geben (wenn man das Glück hat, zwischen Selzthal und Graz einen Schnellzug benützen zu können). Eine minimale Verbesserung zeichnet sich mit dem neuen Fahrplan ab, denn ab 9. Dezember werden die Schnellzüge zwischen Graz und Salzburg/Innsbruck wie früher im lückenlosen Zweistundentakt verkehren, sodass in Selzthal wieder regelmäßiger Anschluss hergestellt wird.

 

Mit extrem langen Fahrzeiten sind auch die Relationen Graz-Salzburg und Graz-Innsbruck/Bregenz belastet.  

 

Man hat vollstes Verständnis dafür, dass der Ausbau der West- und Südbahn Vorrang hat, denn diese Bahnen dienen vor allem auch der optimalen Verbindung der Landeshauptstädte mit der Bundeshauptstadt Wien. Aber sollte es nicht auch Planungen geben, die zum Ziel haben, die Landeshauptstädte untereinander durch attraktiven Bahnverkehr zu verbinden?

 

Zur Bedeutung der elektrisch betriebenen Bahn: Hier

 

Mittelfristige Ausbauperspektiven der Pyhrn-Schober-Achse – Schwerpunkt Pyhrnbahn: Hier